Ich liege auf dem Rücken. So rieche ich am wenigsten den gammligen Geruch, der bei jeder Bewegung aus dem Kissen aufsteigt. Die verwaschene Satin-Bettwäsche hängt kühl und schwer auf meinem Körper. Ich starre an die Wand. Durch das Fenster hinter unserem Bett scheint die Leuchtreklame einer Bar, die sich gegenüber unseres Hostels befindet. Spiegelverkehrt wirft sie ihre Neonbuchstaben an die Spanplatten und taucht unser Zimmer in schales Licht. Bar Europe entziffere ich nach einiger Anstrengung.
Fabian scheint der Geruch nicht zu stören – er liegt auf der Seite, das müde Gesicht ins Kissen gefläzt. Finia hat sich zwischen uns breit gemacht; ihre kleinen Hände liegen in einer lockeren Faust neben ihrem Kopf. Ich streiche ihr die Locken aus der verschwitzten Stirn, mein Kopf brummt und meinen Körper verlässt das Gefühl nicht, immer noch in der Luft zu sein.
Neuseeland. Neu-Seeland. Neusee-Land. Hinter uns liegen 30 Stunden im Flieger. Vor uns drei Monate in Neuseeland. Wir haben keine Route, kein Ziel, keine Pläne. Drei Monate nur wir drei und dieses Land…
„Mama?“, flüstert es neben mir. Benebelt baue ich die Stimme in meinen Traum ein. Bloß nicht aufwachen. „Mama?“
„Was ist denn“, ächze ich und bin versucht, mir das muffige Kissen über den Kopf zu ziehen. Gerade noch rechtzeitig besinne ich mich eines Besseren.
„Mama, ich will frühstücken!“
Nun bin ich wach. Frühstücken. Wieviel Uhr ist es? Wenn wir das wüssten, eine Uhr haben wir nicht. Ich richte mich auf und schiele durch das Fenster auf die Straße hinunter. In der Bar Europe ist Hochbetrieb. Leute johlen und kreischen, eine Bierflasche zerschellt auf dem Gehweg, der vom Dauerregen vor Nässe trieft. Die Leute tragen Jacken. Nach Frühstück sieht das nicht aus, finde ich. Nach Frühsommer übrigens auch nicht.
Es ist stockdunkel, wir haben Logensicht auf Aucklands Nachtleben. Ich überschlage grob: Angenommen, es ist hier in etwa zwei Uhr morgens, ist es in Deutschland Zeit fürs Mittagessen. Ich kann verstehen, dass es unsere Tochter da angemessen findet, zu frühstücken. Inzwischen hat sie Fabian geweckt in der Hoffnung, dass aus ihm etwas Essbares zu kitzeln ist. Wir schauen uns an: Wir haben nichts zu essen.
Finia steht an der Scheibe und betrachtet schnullernd die Feierfreudigen; lässt ihren Blick über die Stadt, den Fernsehturm und in der Ferne den Hafen schweifen. Dann fällt ihr wieder ein, warum sie aufgewacht ist und sieht uns fragend an. Die Salz-Cracker aus dem Flugzeug sind das einzig Essbare in unseren 90 Kilo Gepäck, die quer durchs Zimmer verteilt liegen. Und ein Bifi-Würstchen, das wir aus Versehen ins streng bewachte Hygiene-Paradies Neuseeland geschmuggelt haben.
Für zehn Minuten ist Finia zufrieden und teilt die zerkrümelten Cracker gerecht mit der Satinbettwäsche. Die Wurst hinterher. Fabian und ich liegen im Dunkeln und starren auf die verkehrte Bar Europe an der Wand.
„Asien“, murmelt Fabian.
„Asien?“
„Ja, Asien. Wäre doch auch nett.“
„Stimmt. Und warm.“
„Oder Fiji-Inseln?“
„Au ja. Da regnet’s bestimmt nicht.“
„Und warm wär’s da auch.“
„Hmmm.“
Wir liegen ein bisschen weiter im Dunkeln.
„Was machen wir hier eigentlich drei Monate?“
„Frage ich mich auch gerade.“
„Und was machen wir, wenn es hell wird?“
„Essen kaufen“, mischt sich Finia ein und zieht sich ihre Schuhe an. Den rechten an den linken Fuß, den linken an den Rechten. Klettverschluss zu, fertig. Ich kann es ihr nicht verübeln. Ist hier doch eh alles andersherum und seitenverkehrt. Wieso nicht auch die Schuhe.
Auf dem Weg vom Flughafen haben wir einen 24-Stunden-Supermarkt in der Nähe gesehen. Fabian bietet an, sich den mal von innen anzuschauen. Er ist schon in der Jeans, als uns einfällt, dass wir kein neuseeländisches Geld haben. Was soll’s, gehen wir eben alle.