Ich habe hier ja mal behauptet, dass beim Angeln nach der Mitgift nichts mehr anbiss. Ich log. Am 1.1.2011 biss Fabians Finger an. Und das kam so:
Nach dem Jahrhundert-Sturm haben wir es also zurück auf die Nordinsel geschafft – zu unseren Freunden nach Hawkes Bay. Vertraute Gerüche für mich, vertraute Wege, Schilder, Geschäfte, Menschen. Ein Jahr habe ich hier als Jugendliche verbracht. Mit meiner kleinen Familie finde ich mich nun plötzlich in meiner High School wieder, inmitten einer Schulklasse mit lauter Austauschschülern, die zu mir aufschauen. Und doch fühle ich mich kaum älter als sie. Wo sind sie hin, diese 10 Jahre, die mich von ihnen trennen? Von ihrem Verliebtsein, ihrem Heimweh, ihrer unerschütterlichen Gewissheit, dass ihnen die Welt gehört? Allein an meinem Mädchen, das fest meine Hand hält, merke ich, dass ich älter bin als diese Jugendlichen, denen bunt und in Zahnspangen pralle Lebenslust aus dem Gesicht lacht.
Vertraut auch das Strandhaus, in dem wir Freunde besuchen und in der Silvester-Nacht kollektiv um 11 ins Bett sinken, weil wir finden, dass sich beim Frühstück auch fein das Neue Jahr feiern lässt.
Am morgen brechen die Kerle auf zum Angeln. Sie holen sich zwei Kajaks, zwei Paddel, zwei Angeln und für jede Angel fünf Haken aus dem staubigen Kabuff unterm Haus. An jedem dieser Haken ebenso viele Widerhaken. Fabian schiebt sich noch sein Leatherman in die Badehosentasche und schon stechen sie in See. Sie ist rauher als glatt, glatter als rauh. Der Himmel strahlt, Finia und ich spielen solange Tischfußball. Solange im Sinne von „währenddessen“, nicht im Sinne von „so lange“: Nach einer Stunde kehren die Kerle zurück. Ohne Fisch, mit Fabian an der Angel. Sie scherzen, Fabian ist bleich. Dann erzählen sie. Das Paddel sei beim Köderbefestigen ins Meer gerutscht, er habe danach greifen wollen, gleichzeitig eine Welle, die Angel rutschte auch, er griff zu, mit voller Wucht, nicht in die Angel, nicht ins Paddel – in den Angelhaken. Vor lauter Schreck flutschte das Leatherman gleich hinterher und versank ohne sein 120-Euro-Preisschild gen Meeresboden.
Uns steht der Mund offen, eine Nachbarin kommt hinzu geeilt. Ich frage das Naheliegende (wie ich finde): Warum ziehst du das Ding nicht raus?
Es geht nicht, sagt er. Der Widerhaken.
Ich versuche auch mal ein bisschen dran zu rupfen, doch der Haken hat sich tief in sein Zeige-Fleisch gerammt. Kein Tropfen Blut quillt, wie ein Korken hält er die tiefe Wunde unter Verschluss. Bunte Blinker-Fäden schmücken die Ansicht, während Fabian noch blasser wird. Die Nachbarin, Krankenschwester, schickt ihn ins Krankenhaus. Die Männer brausen davon, Finia und ich spielen weiter Tischfußball. Mulmig diesmal.
Gegen Abend kommen sie zurück. Fabians riesen Verband strahlt uns an, während sie die unglaubliche Geschichte eines malaysischen Arztes auspacken, der in Schottland studiert und nun am Neujahrstag Fabians Finger verhunzt hat. Er erzählte wohl lieber, als zu operieren. Nach ausgiebigem Betäuben habe er den Angelhaken durchgedrückt, damit er an der anderen Seite heraus tritt. So weit, so gut – könnte er doch nun den Widerhaken abschneiden und den Angelhaken wieder rückwärts hinaus ziehen. Es bleibt beim Konjunktiv: er zieht den Haken mitsamt Metallöse und bunten Blinker-Fäden durch die Wunde. Das Resultat: die gesamte Fingerkuppe ist zerrupft, zerfranst und muss in mühevollen Stichen geflickt werden. Wir sind dankbar über unsere Auslandskrankenversicherung, mein Herz verkrampft sich beim Gedanken an die Fische, die diese Tortur im Mund über sich ergehen lassen müssen.
Fünf Tage darf Fabian nicht ins Wasser. Das weiß Finia noch heute, drei Jahre später. Das Gefühl in der Fingerkuppe ist inzwischen zurückgekehrt. Das Gute an der OP-Methode? Der Haken ist unversehrt und schmückt ein kleines Döschen in unserem Bücherregal. Gemeinsam mit Fabians Edelstahl-Verlobungsring, den ich ihm neulich in 1 ½ Stunden Schweißarbeit morgens um 5 vom Finger sägte. Aber das ist eine andere Geschichte, die nichts mit Fischen zu tun hat, sondern mit einer unscheinbaren kleinen Biene.