XX. Komm, wir finden einen Fisch

August 26th, 2013
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Eine Angel muss her. Eine rote, denn Finia findet, dass Angeln rot sein sollen. Ich persönlich halte nicht viel vom Angeln, doch das war früher einmal anders. Sommer für Sommer verbrachte ich als Kind damit, an einem nord-italienischen See mit meinem kleinen Bruder unsere überlangen Ruten auszuwerfen, um dann den durchsichtigen Faden mitsamt blinkendem Schwimmer wieder einzukurbeln. Immer und immer wieder. Nur gelegentlich stritten wir darüber, wem welches Fach im Angelkasten gehört – für gewöhnlich hockten wir mit gekrümmten Rücken Seite an Seite auf der kleinen Hafenmole und taten, was Angler eben tun: aufs Wasser starren. Gemütlich waren diese Stunden. Doch wie viele arme Würmer und Maden mussten dran glauben, dabei haben wir meist doch nichts gefangen. Mein Angeldurst ist also längerfristig gestillt, sodass ich hier in Dunedin lieber mit meinem Buch in ein Strand-Café stapfe und mich auf Angel- und Anhang-freie Stunden freue. Solche, wie sie damals auch meinen eigenen Eltern gegönnt waren.

Heute Abend gibt’s Fisch mit Salzkartoffeln“, sagt Fabian zum Abschied. Noch während ich mein wohlwollendes „Jaja, spielt mal schön angeln“ denke, nimmt er unsere Tochter an die Hand und die rote Angel in die andere. Gemeinsam kraxeln sie die Küste entlang, bis Finias rot-weiße Mütze in der Ferne immer kleiner wird. Kühl weht meiner Familie der antarktische Südwind um die sonnengewöhnten Ohren, während sie einen geeigneten Ort zum Angeln finden. Ich schreibe finden, denn genauso wie Janoschs kleiner Tiger, geht auch Fabian nicht Dinge suchen, sondern Dinge finden.

Aus meinen Lesestunden wird nichts – nach einer halben kraxeln sie zurück. Mit einem Fisch im Schlepptau. Einheimische Bootsmänner, die Gesichter und Nacken von der Sonne gegerbt, nehmen den Fang unter die Lupe. Ein feiner Fisch, sagen sie. Ein seltener. „Nice catch, mate!“, ruft der eine und haut Fabian mit seiner Pranke bewundernd auf die frisch getaufte Anglerschulter.

Würdevoll breitet Fabian den Fisch vor mir aus, als hätte er endlich die Mitgift beisammen, auf die er seit seiner Kindheit gespart hat. Da fällt ihm ein: „Der eine reicht ja gar nicht für uns drei. Wart‘ schnell, wir fangen noch einen.“ Diesmal bleiben sie länger weg. Doch als sie zurück kommen, haben sie einen weiteren Fisch. Einen weiteren Fisch der gleichen Art.

Abends nehmen wir sie aus, schälen Kartoffeln und essen wie prophezeit Salzkartoffeln mit Fisch – gemeinsam mit einer urigen argentinischen Dame, die hin und weg ist von Fabian, weil er  ihrem Sohn so „very, very“ ähnlich sehe und weil er ganz genauso herausragend fische. Ihr Mann sei übrigens im Wohnwagen, weil er abends Diät halte.

Wie wir so einer nach dem anderen den Saft aus einer inzwischen öligen Zitrone quetschen, denke ich, wie wunderbar es wäre, wenn es immer und überall auf der Welt so wäre, wie an diesem Tag: Wenn wir Menschen stets wüssten, woher unsere Nahrung kommt, und nur nähmen, soviel wir tatsächlich brauchen. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass dann viel mehr Menschen satt würden.

Wir beschließen, fortan unser Abendessen zu angeln und sind tief erfüllt von Glück über diese Vorstellung. Die Euphorie ist so groß und anhaltend – da macht es schon gar nichts mehr aus, dass dies die ersten und einzigen Fische bleiben werden, die wir fangen. Sowohl in Neuseeland, als auch später in Australien. Es wird einfach keiner mehr anbeißen. Doch zum Glück schmecken Salzkartoffeln ja auch ohne Fisch.

 

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