XXI. Eine Ode an die Schulter

September 1st, 2013
|

Es ist erstaunlich, wie man Dingen erst eine Bedeutung beimisst, wenn sie eine Bedeutung bekommen. Das mag nach einer Tautologie klingen – doch was ist einem der Seitenstreifen neben der Straße, wenn man ein festes Zuhause hat? Welche Bedeutung hat dieses schmale Stückchen kiesigen Puffers zwischen Asphalt und Natur, zwischen Geschwindigkeit und Ruhe, zwischen Grau und Grün, wenn man von A nach B rast? Wenn man sich linear und zielstrebig bewegt? Man ein klares Ziel und keine Zeit hat? Wohl kaum mehr als ein verschwommener, unruhiger Fleck im Augenwinkel.

Doch was passiert, wenn man kein Ziel hat und dafür Zeit? Wenn man sich treiben lässt, von A nach F tingelt, von dort nach P fährt, und dann, den Wind im Rücken, über Z nach B kommt, um schließlich im Gegenlicht nach O zu kreuzen?

In Neuseeland heißt der Seitenstreifen „shoulder“. Schulter – was für ein schönes Bild!, ist doch der Straßenrand auf unserer Reise ein treuer Freund und Wegbegleiter. Hier schlammig, dort staubig, woanders kiesig; mal schmal, andernorts weitläufig – ganz gleich. Wann immer irgendwo der Schuh klemmt, die Blase drückt, der Magen knurrt, das Auge frohlockt, die Beine schlafen oder aus sonstigen Gründen spontan der Status quo geändert werden muss, kommt der Vacationer zum Stehen und wir lehnen uns an der vertrauten Schulter zu unserer Linken an. So wird aus einem vermeintlich nichts-nutzen Straßenrand hier ein Aussichtspunkt, dort ein Zeltplatz, hie eine Wäscheleine, da eine Küche, manchmal eine Streitstätte, ständig ein Picknickplatz und nicht selten ein WC ohne W.

Bilder eines allgegenwärtigen Gefährten – aufgenommen in flüchtiger Willkür, erinnert in tiefer Dankbarkeit.

Leave a comment: