Nie zuvor habe ich einen so großen Busen gesehen. Er schmückt den Ausschnitt einer blonden Britin, die den Sommer über in der Bretagne lebt, das andere halbe Jahr auf Cargo-Schiffen mitreist.
„Ich steige aus, wo es mir gefällt und steige wieder ein, wenn es mir dort nicht mehr gefällt,“ tönt ihr beeindruckender Alt durch die offene Gemeinschaftsküche des Campingplatzes.
Wir sind inzwischen auf der Coromandel Halbinsel am Hot Water Beach. Ich wasche Salat (diesmal nur $3,80!), zupfe abwesend die Blätter klein und höre der vollbusigen Diva zu. Sie erzählt. Von Matrosen und Maschinen, von Lavendelfeldern und Hafenkneipen, von Magendarm-Epidemien auf offener See und Schildkröten-Invasionen auf einsamen Inseln. Ihre Lapislazuli-Ohrringe döngeln aufgeregt hin und her, ihre Arme holen weit aus, als könnten sie so bis zu den Inseln reichen, von denen sie erzählt; ihr Dekollete hebt und senkt sich mit jeder Anekdote.
Keiner verlässt die Küche. Immer mehr werden es, die sich unauffällig um die Diva scharen, ihr zuhören, gedankenverloren drei mal den gleichen Plastikteller abspülen und ihre dünnen instant-Nudeln verkochen. Die Diva spricht mit niemand Bestimmtem; sie erzählt, einfach des Erzählens wegen und wird gehört, einfach des Zuhörens wegen.
Gerade wünsche ich mir, auch einmal einen solchen Busen zu haben, eine solch inbrünstige Stimme, auch so hinreißend Geschichten erzählen zu können. Da reißt mich ein ebenso inbrünstiges „Mama, darf ich Biene Maja angucken?!“ aus meiner Faszination.
Erst während ich Finia zurück zum Zelt begleite, frage ich mich, wo das Kind bitte schön Biene Maja anschauen will. Als ich unsere neuen Nachbarn sehe, frage ich mich das nicht mehr: Ein zweistöckiges Wunder-Wohnmobil mit Alufelgen und Spülmaschine lässt die Imposanz unseres Vacationers gegen Null streben, da hilft auch unser tarnfarbenes Iglu-Zelt nichts.
Finia verkriecht sich mit den beiden kleinen deutschen Mädchen im Wunder-Wagon und frönt dem Bienen-Entertainment, Fabian und ich klemmen unsere Knie unter unseren Klapptisch, kochen, und beschließen, dass von Hand abspülen sowieso besser für das Seelenleben ist. Für die Umwelt auch. Und überhaupt.
Am nächsten Tag warten wir auf die Ebbe. Dann kann man am Hot Water Beach Löcher buddeln, die sich mit heißem Thermalwasser aus vulkanischer Underground-Aktivität füllen, und ein heißes Bad am Strand nehmen. Chronisch ungeduscht finden wir die Aussicht mehr als verlockend.
Um die Zeit bis zur Ebbe zu vertreiben essen wir unsere erstens Fish ‚n‘ Chips und Finia möchte, dass wir fortan eine Angel mit uns führen – „eine rote bitte!“ Wir machen eine Wanderung durch den Regenwald in und hinter und um unseren Zeltplatz. Verzaubert von saftigem Grün, von üppigem Moos, von sich gerade ausrollendem Farn entdecken wir einen Avokado-Baum. Wir ernten eine handvoll der harten, grünen Früchte – zwei Wochen später werden wir sie reif und cremig in Taupo frühstücken. Kaum haben wir die Avokados verstaut, bricht Finia in ein Matschloch ein, so gründlich und so tief, dass von den Glitzerapplikationen ihrer Schuhe nichts mehr zu sehen ist. Es ist ein Drama! Ausgerechnet die Schuhe, die Fabian erst vor zwei Wochen durch hartnäckige Überredung eines indischen Bodenpersonal-Menschen aus dem bereits geschlossenen Airbus gerettet hat! Tränen fließen um die Wette mit dem Matsch, Strand-Badewanne wir kommen.
Am Nachmittag ist also Ebbe. Wir stiefeln an den Strand, bepackt mit Eimer und Schaufel und voll Frohgemut im Angesicht von so viel Naturerfahrung. Als wir uns dem besagten Strandabschnitt nähern, stellen wir fest, dass wir nicht die Einzigen sind, die heute buddeln wollen. Dutzende Sandgräber strecken ihre Hintern in die Luft auf der Suche nach Heiß-Wasser. Wir reihen uns ein und graben. Und graben. Wasser kommt viel – kaltes Wasser, kein warmes, geschweige denn heißes. Uns bricht der Schweiß aus: In einer Stunde kommt die Flut und dann hat sich das mit der heißen Wanne ohnehin erledigt. Wir graben weiter und fühlen uns ein bisschen, wie wenn man auf einem Volksfest lange am Waffelstand ansteht, sehr lange, immer mit der Angst im Nacken, dass gerade wenn man endlich an der Reihe ist, der Teig aus sein könnte. (Nur dass man in dem Fall nicht stundenlang gegraben hat. Auch nicht halbnackt. Auch nicht im Nieselregen.)
Da ruft uns ein holländisches Pärchen zu sich in den Pool. All die Menschen um uns herum beschließen, sich ebenso angesprochen zu fühlen (oder aber sie waren gemeint und wir beschlossen, uns ebenso angesprochen zu fühlen) und schon sitzen wir zu zehnt im Holländer-Pool.
Selten so gelacht wie an diesem Nachmittag, schon gar nicht in der Badewanne, schon gar nicht mit so vielen fremden Menschen, schon gar nicht im Nieselregen. Verstohlen blicke ich um mich und suche nach der Diva. Sie ist nicht da, ihre Alto-Stimme auch nicht, ihre Geschichten auch nicht. Vermutlich ist sie längst weiter gereist. Mit Lapislazuli im Ohr, einem Matrosen am Arm und einem anmutigen Lächeln auf den Lippen.