XXXII. Wenn der Spülschwamm zur Mutprobe wird

Westküste Australien
April 21st, 2014
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Ich krieche aus dem Zelt, schlupfe in meine Flip-Flops und stapfe durch das feuchte Gras zum Auto. Es ist dunkel, satt hängt der volle Mond am Himmel und taucht das spiegelglatte Meer in kühles Gold. Wir sind in Mangawhai Heads, es ist unsere letzte Nacht mit dem Zelt hier in Neuseeland; vor drei Monaten war genau hier die erste.

Ich steige in den Vacationer, lasse ihn anspringen. Wie während der ganzen Zeit schnurrt er ohne zu zuckeln an und schafft sich den geschwungenen Weg vom Meer weg den Berg hinauf. Oben biege ich mit ihm ab, fahre in das kleine Dörfchen Mangawhai und halte vor dem einzigen Pub. Ich klaube ein paar Münzen aus dem Handschuhfach und gehe hinein. Männer in Shorts und den typisch neuseeländischen Leder-Boots zieren die Bar. Ja, sagt die Bedienung, natürlich hätten sie auch Desserts zum Mitnehmen. Mit wedelnder Schleife im Haar und freundlichen Augen schmeißt sie den Laden.

Während ich auf meinen Caramel-Chocolate Fudge warte, höre ich dem Gemurmel der Männer zu, warm dringt ihr tiefes Lachen zu mir herüber. Mein Herz weitet und schnürt sich zugleich. Es ist, als läge das gesammelte Glück der vergangenen Monate, erlebt hier auf diesem Fleckchen Erde fern der Heimat, in diesem Lachen. Ich denke an mein goldenes Döschen, in das ich als Mädchen versuchte, den Duft der Glöckchen im Mai zu sammeln. Ich wünsche es mir herbei, das Döschen, möchte das Lachen darin auffangen, es fest verschließen und mitnehmen.

Sie ist nicht golden die Dose, die die Bedienung dampfend vor mich hinstellt. Groß und warm dafür, an einer Stelle quillt mir die Karamell-Soße entgegen.  Ich danke, zahle, dann kurven Vacationer und ich zurück gen Meer.

Finia schläft längst, Fabian freut sich wie ein Bub über die Überraschung und fischt zwei Löffel aus der Küchenkiste. Wir legen uns ein letztes Mal in unser kleines Zuhause aus Stoff, und lassen uns diesen Inbegriff triefender Köstlichkeit munden. Wir sprechen nicht, und doch sind die letzten zwölf Wochen so präsent wie die Wellen, die leise und unbeirrbar gegen das Ufer wippen.

Der Tag, an dem wir wilden Fenchel fanden und kochten. Der Nachmittag, an dem Fabian sich endlich den Traum vom Surfboard erfüllte und der Verkäufer den Sattel an Finias Laufrad höher stellte. Der Morgen, an dem Finia uns fragte, ob Maoris schwarze Knochen haben. Der Abend, an dem uns ein alter Schweizer in einem Spa-Pool die Geschichte erzählte, wie am Grenzzaun in der Tschechoslowakei vor seinen Augen die Mutter und seine kleine Schwester erschossen wurden. Der Tag, an dem uns ein wildfremdes Ehepaar im Supermarkt zu sich einlud, um mit ihnen die Geburt ihres Enkels zu feiern. Die zeitlosen Stunden auf Büchermärkten in Kleinstädten, die unzähligen Avocado-Baguettes, die liebgehassten Sandfliegen. Der Arztbesuch am Weihnachtsmorgen wegen Finias entzündetem Auge, die verwachsene Veranda, die als Wartezimmer diente. Die Stunden mit Delfinen, die Glückseligkeit in Wellen, die stolzen Blasen unzähliger Wanderungen, der Duft von Zimt-Wecken, die Gemeinschaftlichkeit an Weihnachten, die pinken Schafe, der Jahrhundertsturm, das einzig schöne Lied auf unserer einzigen Kassette und all die Dinge, die wir Euch hier schon erzählt haben.

Am nächsten Morgen werden wir ein letztes Mal unser Zelt zusammenpacken. Wir werden uns von unseren Freunden mit den Zwillingen verabschieden, die wir am am ersten Abend genau hier kennen lernten. Während wir ein letztes Mal den Vacationer beladen werden, wird Finia mit den Zwillingen am Strand einen Fischkopf finden und erkunden, anschließend wird sie ihnen in brockenhaftem Englisch noch ihr Grimm’sches Märchenbuch erklären. Schließlich werden wir zurück nach Auckland fahren und allein in das Haus unserer Freunde fahren. Dort werden wir unsere Muschelsammlung auskochen, Finias Stocksammlung auflösen, kleine Tränen trocknen, den kaum genutzten Reiseführer verschenken, unsere Pfannen und Töpfe mit Briefchen versehen in die Küchenschränke räumen und eine letzte Wassermelone kaufen. Wir werden den Vacationer putzen, ihn mit Geschenken für unsere anderen Freunde versehen und für sie die Kassette zu Beginn des schönen Lieds spulen. Dann werden wir den Vacationer am Flughafen ein letztes Mal abschließen. Zumindest die Türen, die sich abschließen lassen.Wir werden mit unserem Gepäck in das Gebäude laufen und noch nicht ahnen, dass unsere Freunde uns überraschen und unsere Melone mit uns teilen werden. Schließlich werden wir in das größte Flugzeug der Welt steigen, das uns nach Australien bringen wird – für viele weitere Monate weit der Heimat. Und dort in der Luft, bei Reis mit Hühnchen, wird Finia sagen: „Wenn wir in dem Australien da sind, mag ich in einem roten Haus mit Hund wohnen. Und ihr?“

All das werden wir jedoch erst morgen tun. Heute wischen wir nur noch mit einem Tempo die beiden Löffel  sauber – der Spülschwamm ist zur Mutprobe mutiert. „Vielleicht“, sagt Fabian als er das zerlümmelte Ding mit Fingerspitzen hochhebt, „vielleicht gibt es doch so etwas wie einen guten Zeitpunkt zum Weiterziehen.“ Er stopft das Ding in die Tüte, die im Vorzelt baumelt. „Das hier wär‘ so einer.“

 

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