XI. Eimer, Ingwerkekse, Delfine

Juni 9th, 2013
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Ich zwänge mich in den porösen Neoprenanzug, der mir zugeteilt wurde, und versuche, nicht daran zu denken, wer hier alles schon reingepieselt hat. Größe S – wird schon stimmen, wenn die meinen, meine ich. Bis das Ding meine Waden erdrosselt und sich auf Kniehöhe festkeilt.

Inzwischen sind wir in Kaikoura auf der Südinsel Neuseelands und machen uns dazu bereit, mit Delfinen zu schwimmen. Der erste Monat in der Ferne und auf der Nordinsel lag hinter uns, als wir die Autofähre in den Süden nahmen. Dahin, wo noch weniger Menschen leben; dahin, wo man innerhalb von wenigen Stunden einen Gletscher besteigen, einen Regenwald durchkreuzen und eine Sandburg bauen kann. Und eben mit Delfinen schwimmen. Felsig, steil und schroff fällt hier der Meeresboden direkt an der Küste ab. Dadurch entstehen Strömungen, die für großartige Futterbedingungen für Delfine und Wale sorgen. Wir wissen, dass uns der Ausflug finanziell schmerzen wird, aber wir beschließen, dass manche Dinge im Leben sein müssen. Und dass es die einzige kostenspielige Aktion bleiben wird.

Fabian findet es lustig, wie ich mich aus der einen Röhre heraus und in eine größere hinein pelle. Gut Lachen hat er ja – in seinem eigenen, nagelneuen, pipifreien Neoprenanzug. Finia bietet an, die Schnorchel zu tragen. Sie darf nicht mit ins Wasser, weil sie noch keine 8 ist – eine Nachricht, die sie mit dankbarem Lächeln aufgenommen hat. Schon werden wir mit den anderen Pellwürsten in einen kleinen Raum gescheucht. Ein Film erklärt uns, wie man sich auf dem Boot und im Wasser und den Tieren gegenüber verhalten soll. Bitte NICHT in die Anzüge pinkeln. ERST ins Wasser springen, wenn die Hupe ertönt, weil sich sonst noch die Schiffsschraube dreht und da wolle man ja nun nicht rein. Im Wasser dann: möglichst hochfrequentierte Töne von sich stoßen (ja genau, durch den Schnorchel) und die Arme eng am Körper halten, damit man möglichst fischartig rüberkomme. Die Tiere sollen schließlich nicht UNS unterhalten: Entweder man schafft es, SIE zu bespaßen, oder sie langweilen sich und schwimmen weg. Am wichtigsten: die Tiere NICHT berühren. Ach ja, und bitte bei Bedarf IN die Eimer spucken.

Wir steigen auf das kleine Boot. Eine ¾ Stunde preschen wir in den Pazifik hinaus und südlich die Küste entlang und suchen nach „dusky dolphins“ (Schwarzdelfinen). Die Veranstalter von Dolphin Encounters verlassen sich hierbei nur auf ihre Erfahrung und Sehkraft – die Tiere werden weder mit Futter gelockt, noch mit Radar geortet. Die Fahrt ist lang, wir frösteln und uns ist klar, dass das Wasser kaum mehr als 10 Grad hat. Das russische Pärchen neben uns hat angefangen zu streiten und wir wissen: dass wir tatsächlich Delfine sehen werden, ist ungewiss. Die Wellen werden immer höher, Finia immer bleicher, während die Russin ihren Mann mit Blicken straft.

Plötzlich spritzt es neben uns. Eine Schwanzflosse. Dann noch eine und noch eine. Wir sind inmitten von einem Großschwarm an Delfinen! Zwei- bis dreihundert, schätzt der Bootsführer. Viele der Tiere haben Junge, die keck und unerschrocken um ihre Mütter kreisen und kleine Sprünge wagen. Der Motor verstummt, lautlos kommt das Boot zum Stehen. Wir schlüpfen in die Flossen. Konzentriert. Alle spüren: er ist kostbar der Moment. So kostbar. Und jeden Moment kann er vorbei sein. Das Signal ertönt und zu sechst gleiten wir nacheinander von der kleinen Stufe am Heck. Ich darf zuerst, solange ist Fabian bei Finia; dann werden wir tauschen.

Ich bekomme nicht mehr mit, dass Finia immer bleicher wird. Kaum, dass mein Kopf in die Kälte eindringt, fühle ich mich alleine. Zum ersten Mal alleine auf dieser Welt. Es ist ein beängstigend neues und schwindelerregend schönes Gefühl. Ich ringe um Atem, während mir das Herz bis zum Hals klopft und zehn Delfine eng um mich kreisen, mich aus sanften, kleinen Augen neugierig mustern. Unter mir geht es hunderte von Metern herunter. Ich schiebe den Gedanken weg und beginne, Geräusche zu machen. Erst zaghaft – selbst vor Delfinen will man sich ja nicht zum Affen machen – doch es wirkt. Sie wollen spielen, diese Tiere, die so wunderschön glatt glänzen, wie nichts, das ich zuvor gesehen habe. Ich tauche mit ihnen, so lange, bis mir die Lunge schmerzt und ich mich wehmütig von ihnen lösen und zurück an die Oberfläche gleiten muss. Doch dort treffe ich mehr und noch mehr Delfine und das Spiel beginnt aufs Neue. Mit jeder Lungenfüllung. Oh Augenblick, verweile doch, du bist so schön.

Erneut ertönt das Signal. Fabian ist an der Reihe. Erst als ich mit Mühe die Stufe zurück ins Boot klettere, merke ich, wie ich vor Aufregung zittere.

Ich habe gekotzt!“, begrüßt mich Finia feierlich. „In Papas T-Shirt.“ Sie ist in eine buntgestreifte Fleece-Decke gewickelt, isst Ingwer-Kekse und trinkt heiße Schokolade. Ich bekomme einen Schlauch, aus dem ich warmes Wasser in meinen Neoprenanzug fließen lasse. Dann setze ich mich zu Finia und zusammen beobachten wir, wie Fabian von drei Jungtieren und ihren Müttern umkreist wird.

Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie sich die Russin wutentbrandt Schnorchel und Brille vom Haupt rupft und sich vorschriftsgemäß in einen der Eimer übergibt. Jedem wird dieser Ausflug wohl auf seine Art in Erinnerung bleiben.

Finia schläft die gesamte Rückfahrt über, Wellen hin oder her. Ein halber Ingwerkeks steckt in der kleinen Faust. Sie schläft auch auf dem Weg zurück zum Delfin-Zentrum. Ebenso auf der Fahrt zurück zum Campingplatz; auch während wir kochen und die Sonne hinter den schneebegipfelten Bergen untergeht. Sie wacht erst auf, als Fabian und ich uns im Dunkeln die Zähne putzen. Dann möchte sie nicht mehr schlafen. Wir schon. Doch wen stört das, wenn man vor ein paar Stunden mit Delfinen getollt hat? Uns nicht. Und Uno kann man auch bei Kerzenschein prima spielen.

 

 

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