Wir sitzen also in unserem Vacationer, Moos auf dem Dach, und fahren in den Norden. „Weißt du was, Finia? Der Vacationer wurde gebaut, da waren Papa und ich erst zwei Jahre alt“, sage ich und lege meine Füße auf das Armaturenbrett.
„Dann bin ich ja älter als ihr“, kommt es aus dem Mäuse-Schrägstrich-Schweine-Sitz.
„Ne, weil damals, als wir zwei waren, da gab’s dich ja noch gar nicht“, erkläre ich.
„Aber ich werde bald vier. Und ihr ward ja nur zwei“, erklärt sie.
Wie auch immer.
„Deswegen hat das Auto auch so viel Moos. Weil es schon so alt ist“, sage ich.
„Habt ihr auch Moos?“
Es fängt wieder an zu regnen.
„Wann sind wir da?“, tönt es von den Mäuse-Schweinen. „Und wo fahren wir hin?“ Fragen, die wir haben kommen hören, bevor wir Deutschland überhaupt verlassen hatten. Ja, wo fahren wir hin? Wenn wir das wüssten, dann wüssten wir auch, wann wir da sind.
Finia wusste nicht, was sie in Neuseeland erwarten würde. Wie auch – sie war drei, als wir die Koffer packten. Alle Versuche, sie auf die Zeit im Ausland vorzubereiten, scheiterten an ihrem ausgeprägten Desinteresse. Doch was sollte sie auch mit der Landkarte anfangen, die wir eifrig vor ihr ausbreiteten, wo sie doch gar nicht verstand, was ein Land ist? Was brachten ihr unsere Erzählungen, dass die Menschen dort eine andere Sprache sprechen, wo sie doch der deutschen noch nicht ganz mächtig war? (Und überhaupt: was ist das – Sprache?) Was bedeuteten ihr die gesten- und geräuschreichen Erzählungen von fremden Tieren, von Delfinen, Wombats und Haien, wo doch Enten, Hunde und Schafe eine hinreichend große Welt für sie waren?
„Wir fahren einfach, bis es uns irgendwo so richtig gut gefällt und da zelten wir dann!“ sagt Fabi und schickt begeistert-euphorische Blicke über den Rückspiegel nach hinten. Fabi und ich finden ja, dass es noch eine Weile dauern kann, bis es uns irgendwo richtig gut gefällt, weil so lange wir fahren, müssen wir nicht im Regen das Zelt aufbauen. Und nicht im Regen kochen. Und nicht im Regen sein.
„Ich finde es genau hier so richtig schön!“ sagt Finia. Begeistert-euphorische Blicke von hinten in den Rückspiegel nach vorne. Wir schauen nach draußen. Zu unserer linken: Wiese. Zu unserer rechten: Wiese.
„Aber wir wollten doch gerne ans Meer, oder?“, versuche ich. „Muscheln sammeln, eine Angel bauen, vielleicht baden (wenn es aufhört zu regnen)…“
„Hmm.“
Wir fahren also weiter in den Norden.
„Ich will Seeräuber-Opa Fabian hören!“, schallt es nach vorne. Dankbar über unsere Wunder-Zigarettenanzünderstrom-Kasettenadapter-MP3-Konstruktion schalten wir Pippi Langstrumpf ein und Seeräuber-Opa Fabian scheppert aus den Boxen.
Seeräuberopa Fabian,
trieb so manchen Schabernack,
kreuz und quer auf dem Ozean.
teuer-hadde-littaniack …
Seeräuberopa Fabian,
kotzt bei jedem Sturm ins Meer,
mehr als einer essen kann,
teuer-hatte-littander.
Finia ist im Glück. Wir schrubben Kilometer bei Tempo 80 und lassen die weichen, endlosen Wiesenhügel an uns vorbei ziehen. Zwei Pippi-Pausen, ein Erdnussbutter-Vesper und viele, sehr viele Seeräuber-Opa Fabians später, gibt Seeräuber-Opa Fabian den Geist auf. Der Zigarettenanzünder funktionierte bestimmt einmal. Vielleicht, als Fabian und ich zwei waren. Jetzt tut er es auf jeden Fall nicht mehr. Wir versuchen es mit Radio, aber es gibt keinen Empfang – da hilft es auch nicht, den Kleiderbügel in Herzform zu biegen. Wir fahren weiter in den Norden. Finia will Seeräuber-Opa Fabian hören, Fabian würde gerne surfen und ich würde gerne in ein Café gehen. Gerne mit einem Buch. Gerne ohne Fabian und Finia. Das mit Asien schwirrt uns wieder durch den Kopf. Wäre doch nett, oder? Palmen, weißer Sand, Sonne. Kein Regen, Wolken, Wollpullover.
Doch plötzlich sind am Straßenrand Schafe. Der Neuseeland-Versierte wird denken: natürlich sind da Schafe. Die sind in Neuseeland! Dort gibt es 14 mal so viele Schafe wie Menschen und: natürlich müssen die auch irgendwo ‚rum stehen! Wahr, sehr wahr. Aber diese Schafe sind pink! Nicht irgendein Pink, nein: ein Pink, das pinker nicht sein könnte. Ein Jubelschrei aus den Mäuse-Schweinen genügt, wir fahren rechts ran. Man kann sagen: was soll’s, ein paar pinke Schafe. Doch die Nase im Wind, den Vacationer im Rücken, unser Kind vor uns, glücklich den kleinen Hals über den Zaun gereckt, ist Neuseeland plötzlich stark im Kurs. Dankbarkeit, tiefe Dankbarkeit sickert in unsere Körper.
Wir. Hier. Zusammen.
Asien kann Asien bleiben. Dass die Tiere nur aus Marketingzwecken für die Sheepworld angesprüht wurden, stört uns nicht. Pinke Schafe sind eben was sie sind: pinke Schafe. Darüber vergisst man sogar Seeräuber-Opa Fabian. Das Buch? Nun ja, das kann man ja auch abends im Zelt lesen. Und Wellen für Fabian? Bald, bald.