Ein Adventskalender muss her und zwar bitte der gleiche wie letztes Jahr: „Der mit den kleinen Zwergen und den vielen Täschchen und so Zahlen drauf. Der, wo jeden Tag was anderes drin war – ihr wisst doch, welcher, oder?“, rüttelt Finia an dem Schlauch, auf den wir uns stellen. Ja, da war doch was. Wir besorgen ein rotes Bast-Schächtelchen und binden es an die Lüftungsklappen am Armaturenbrett. Ein kleiner Ersatz, zugegeben, aber Finia lässt ihn durchgehen und freut sich allmorgendlich. Seit fünf Tagen. Über eine Haarspange etwa. Einen bunten Stift. Ein Stück Lakritze.
Wir haben uns ins Landesinnere geschlängelt, vorbei an einer alten Goldgräberstätte, und geraten auf einen Campingplatz nahe zweier Gletscher mitten im Regenwald. Es regnet. Unter Nieseln rammen wir Heringe in den Steinboden, packen dann die Rucksäcke und fahren zum ersten Gletscher: Franz Josef. Auf einem ausgetrampelten Pfad wandern wir durch saftig-dichtes Gestrüpp und, wie so oft, denke ich: Am liebsten hätte man, dass auch dieser Pfad noch nicht ausgetrampelt wäre, dass es ihn noch nicht einmal gäbe, dass man der Erste hier wäre. Und zugleich trampelt man ihn mit jedem Schritt weiter aus. Wie all diejenigen vor einem. Und all die nach einem.
Plötzlich erstreckt sich vor uns ein weites Geröllfell. Einem grauen Teppich gleich hat es sich unterwürfig an den Fuß des Gletschers geschmiegt. Wir laufen darüber, während sich der Himmel schwarz braut. Als es anfängt zu regnen, laufen wir weiter und singen, bis sich die Wolkendecke öffnet und wahllos Wasser nach uns schmeißt. Finia und ich haben genug vom Wandern in Fluten und stellen uns an einer Felsewand unter. Von dort beobachten wir, wie ganze Horden an Gletscherbesteigern wie Ameisen übers Geröllfeld pesen; Pickel und Seile wehen auf den Rücken hinterher. Einzig die Fabi-Ameise zieht weiter Richtung Gletscher – sie möchte wenigstens dessen eisigen Fuß berühren. Doch auch sie gibt sich schließlich dem Wasser geschlagen und holt uns eine halbe Stunde später triefend aus unserer Höhle. Gemeinsam patschen wir zurück – Finia fröhlich vorneweg in ihrer ultra-trockenen Funktionskleidung.
Als ich mir am Auto meine einzige Jeans nass und klamm von den Beinen rupfe und mein einziges Paar fester Schuhe aufgequollen vor mir liegt, denke ich für einen Moment an unser Zuhause in Deutschland. Ich finde plötzlich, dass es ein durch und durch feiner Ort ist – mit seiner Waschmaschine und seinen Betten; mit dem hässlich-blauen Wasserkocher und dieser wunder-warmen Badewanne. Doch abends entdecken wir auf dem Campingplatz einen heißen Spa-Pool. Im Nieselregen sitzen wir im Wasser, gemütlich-warmer Dampf steigt um uns auf und wir blicken auf hohe Regenwaldhügel, denen weiße Nebelwolken freundliche Mützen aufgesetzt haben. Gedanken an zu Hause verfliegen, dabei ahnen wir noch nicht einmal, dass wir am nächsten Tag beim Fox Glacier mehr Glück haben werden. Dass wir es trocken bis zum Eis schaffen und eine Gletscher-Schönheit sehen werden, die noch lange von sich reden macht. Denn noch sind wir beschäftigt mit der Frage, ob der Nikolaus uns hier in der blattreichen Pampa finden wird.
Vor dem Schlafen putzt Finia mit Feuchttüchern ihre Wanderstiefel und arrangiert sie in liebevoller Feinstarbeit im Vorzelt. Den Reißverschluss lässt sie einen Spalt auf (Regen hin oder her), damit der Nikolaus die Stiefel auch ja findet. Als sie sich am nächsten Morgen strahlend den Schlafsack vom Leib reißt und ehrfürchtig auf ihre Schokoladen-Gaben blickt, ahnt man, dass für sie in genau diesem Moment die Welt die denkbar wunderbarste ist. Ich spüre jeden einzelnen Stein in meinem Rücken, aber ich denke: Das mit dem Zuhause ist wohl relativ. Vielleicht ist es einfach da, wo man zusammen ist, wer weiß. Wenn es nach Finia geht, ist Zuhause da, wo der Nikolaus ist – so viel steht fest. Zumindest heute.