XV. Arachnocampa Luminosa

Arachnocampa luminosas bei der Arbeit
Juli 7th, 2013
|

Mit jedem Zug, der vorbeibrettert, bebt die Zeltwand; Finia winkt. Unser Campingplatz in Hokitika schmiegt sich an die Bahnschienen, nur ein kümmerliches Zäunchen hängt lustlos dazwischen. Wir sind die einzigen Gäste auf diesem Platz. Ganz Neuseeland hat zwar inzwischen Sommerferien, aber hier könnte man meinen, es wäre nicht Hoch- sondern Nicht-Saison – wüssten wir nicht, dass die anderen, die schönen Campingplätze, schlicht ausgebucht sind. Der mit dem Pool zumindest, und der mit dem Streichelzoo für Kinder auch. Bestimmt von Leuten, die vorher wissen, wo sie am Abend schlafen wollen. Bestimmt von Leuten, die ein Handy haben. Oder so ein Internet-Karten-Dingens.

Wir also nicht.

Dafür haben wir ja den Zug, Finia winkt schon wieder, und ich habe in der Campingplatzküche nicht nur Kakerlaken gefunden, sondern auch noch alte Klatsch-Zeitschriften! Ich bin im Glück und schmökere auf der nächstbesten Wiese. Mein Glück hält an, bis ich einen Artikel mit der fetten Überschrift „REAL LIFE – Girl Swallows Tooth Brush“ lese. Ja, ein 15-jähriges Mädchen hat sich beim Treppenhochrennen tatsächlich unsanft eine 19cm lange Zahnbürste die Speiseröhre runter gerammt. Und die Aktion zum Glück überlebt. REAL LIFE eben.

Ich bringe die Hefte zurück zu den Kakerlaken und beschließe, doch lieber beim Abspülen zu helfen. In dem Zuge verhänge ich ein familieninternes Zähneputzen-beim-Treppen-Hochrennen-Verbot. Finia frohlockt, kommt ihr doch jede Einschränkung in der Zahnputzpflicht gerufen. „Schade, dass wir im Zelt keine Treppen haben“, sagt sie nach einigem Nachdenken.

Anschließend suchen wir den „nettesten Schmuckmacher in ganz Hokitika“, um ihm 22 handtellergroße, glänzende Paua-Muscheln zu schenken. Hokitika ist berühmt für Schmuck aus dem hinreißenden Perlmutt und mehr als vier Muscheln wollen wir nicht nach Australien mitnehmen – mein Flughafen-Wursttrauma sitzt noch immer tief. Besonders nett ist der netteste Schmuckmacher in Hokitika nicht, die Muscheln schenken wir ihm trotzdem. Finia darf sich dafür ein fertiges Schmuckstück aussuchen. Zielsicher schreitet sie an Silber- und Paua-Kunstwerken vorbei und entscheidet sich für einen pink angesprühten Muschel-Kettenanhänger. An einem Nylonfaden baumelt er von einem Touristenständer am Eingang. Ja, geschäftstüchtig ist sie eben. Der netteste Schmuckmacher atmet erleichtert auf.

Wo wir doch heute schon so Schmuck-affin sind, besuchen wir eine kleine Fabrik, in der man zuschauen kann, wie kostbarer neuseeländischer Jade-Stein zu Schmuck verarbeitet wird, bevor sich Fabian unter die Surfer mischt und Finia und ich zurück zu Zelt und Zug tingeln, um ein Mittagsschläfchen zu halten. Meiner klappt prima; Finia ordnet lieber die Kiesel-Umrandungen der Zeltplatzbeete nach Farbtönen.

Abends wechseln wir die Batterien unserer Taschenlampen und fahren zu einer nach oben hin offenen Höhle, in der man Arachnocampa luminosa (oder auch: Glühwürmchen) sehen kann. Im Dunkeln tappen wir den glitschigen Weg in die Höhle hinein; Finia drückt sich dicht an uns. Keine fünf Minuten später öffnet sich über uns ein Höhlenhimmel voll kleiner, leuchtender Larven-Sterne; darüber der echte Sternenhimmel. Wegen der Dunkelheit sehen wir nicht, wie jede einzelne Arachnocampa luminosa an der Höhlendecke ein Nest aus Seide spinnt und bis zu 70 Seidenfäden um das Nest herab hängt. Auch diese Fäden sehen wir nicht, obwohl sie bis zu 40cm lang und mit Schleimtröpfchen besetzt sind. Nur der Larven süchtigmachendes, atemraubendes Leuchten offenbart sich uns. Stumm betrachten wir das stille Schauspiel, das nur zur Hälfte auf offener Bühne ausgetragen wird: Mit dem Leuchten locken die Tiere Beute an, die sich dann in den Fäden verfängt und gefressen wird. Im Dunkeln. Wir staunen, welch Schönheit in einer so trivialen Aufgabe wie der Nahrungsbeschaffung stecken kann, bis Finia fragt: „Und wo wechseln die Glühwürmchen ihre Batterien?“

Als wir uns von dem luminosen Anblick losreißen und zurück zum Auto gehen, hat es Finia plötzlich sehr eilig, aus der Höhle zu kommen. Die letzten Stufen zum Parkplatz nimmt sie hüpfend.

Gut, dass sie keine Zahnbürste im Mund hat“, liest Fabian meine Gedanken. Trotz Dunkelheit weiß ich, dass er grinst. Und ich denke: ja, es stimmt wohl, was die Leute sagen. Auf einer Reise lernt man sich irgendwie nochmal besser kennen.

 

 

  • .........   Bisherige Südinsel-Route
  • Pauas bekommen neues Zuhause
  • Metergroße Jadescheiben in Hokitika
  • Jade-Künstlerin bei der Arbeit
  • Wir waren da. Eindeutig, oder?
  • Arachnocampa luminosas bei der Arbeit

Leave a comment: