Pool oder Pudding? Unschlüssig stehen wir in Nelson am Straßenrand auf halber Strecke zwischen zwei Hostels und können uns nicht entscheiden. Die eine Unterkunft wirbt mit abendlicher Suppe und Schokopudding, die andere mit Pool. Finia will den Pudding, wir den Pool. Die Entscheidung ist wichtig. Am Ort der Wahl wollen wir 10 Tage bleiben. Am Ort der Wahl wollen wir Weihnachten feiern. Nach vielen Wochen für ein paar Tage nicht im Zelt liegen! Ein Pool klingt da doppelt fein.
„Im Pudding kann man nicht schwimmen“, bringen wir unser Argument vor.
„Den Pool kann man nicht essen“, die Gegenposition aus dem Bärensitz.
„Den Pool können wir aber nicht selber machen. Den Pudding schon. Oder Plätzchen.“
Überredet. Ein junger Kerl an der Rezeption, freundliche Augen unter roten Haaren unter schiefer Baskenmütze. „Drei Betten also?“ Er hämmert in seine Computer-Tasten. Er hämmert lange und schüttelt immer wieder den Kopf. Wir warten. „Frag ihn, ob er auch Schokopudding hat!“ flüstert Finia in Zimmerlautstärke zu mir hoch.
„Hört zu, Leute“, der Baskenmann. „Die Vierbettzimmer sind alle belegt. Ich würde Euch ungern in einem der Großräume unterbringen. Da ist es nachts manchmal laut, wenn Ihr wisst, was ich meine…“ Er lächelt verlegen.
Wir wissen, was er meint.
„Ich kann Euch ein Tipi anbieten.“
„Ein Tipi?“
„Ein Tipi. Ein Zelt. Ein Tipi-Zelt.“ Aus der Traum vom zeltfrei.
Doch dann zeigt er uns das Schmuckstück. Eine Holzkonstruktion mit dickem Segelstoff umspannt. Ein Doppelbett darin, eine Glühbirne an der Decke. Sanft scheint die Sonne durch den hellen Stoff und wirft hübsche Flecken an die Wand. Wir schauen uns an. Es ist perfekt. Während Fabian und ich das Auto ausräumen, unser Essen mit Namen versehen und auf die überfüllten Kühlschränke verteilen, gibt Finia einem jungen Argentinier eine Erdbeere ab. Nico heißt er. Er hat rot gefärbte Haare und ist der erste nette Mensch, den wir hier kennen lernen. Es folgen Benjamin, der Schornsteinfeger, und Stefan aus Bayern; Ashley, die Schwimmtrainerin und unzählige weitere. Alle haben eins gemeinsam: sie feiern bis in die Puppen und schlafen bis in die Puppen. Und fast alle arbeiten hier gegen Kost und Logis. Einer schlappt morgens umher und leert unter lautem Klappern und Gähnen die Mülltonnen, bevor er wieder im Bett verschwindet. Eine andere ist immer wieder an der Waschmaschine zu erhaschen, wo sie im Kaltwaschgang weinrote Bettlaken wäscht. Zwei Mädels putzen morgens mit abgespreizten Fingerspitzen und in Flip-Flops das Bad. Einer, ohnehin immer an vorderster Feierfront, gibt den Nachtwächter; wieder andere arbeiten in der nahegelegenen Fischfabrik. Inmitten von diesem bunten Haufen leben wir in unserem Tipi und fühlen uns wohl wie Pudel.
Die Tage vergehen in ereignislosem Ereignisreichtum. Wir backen Plätzchen in der großen Gemeinschaftsküche. Wir verbringen einen Regentag in der Stadtbücherei, wir waschen Wäsche im Kaltwaschgang. (Einen anderen gibt es nicht.) Finia bastelt mit Benjamin dem Schornsteinfeger eine Muschelkette. Wir essen Plätzchen. Wir schwimmen im Pool. Angeln im Meer. Sitzen im Spa-Pool, spielen Uno. Wir backen weitere Plätzchen und lesen das Gemeindeblatt. Laternenbasteln wird da inseriert, mit anschließendem Laternenlauf auf Nelsons Hausberg. Eine Taschenlampe soll man mitbringen. Eine Taschenlampe? Zum Laternenbasteln? Also gut, ham wir ja genug.
Am Basteltreff trifft Jung auf Reich, Arm auf Groß, Alt auf Klein. Eine Laterne will jeder, selbergebastelt, sie scheint hier kollektives Statussymbol. Mit an unserem Tisch eine deutsche Auswandererfamilie und zwei goldige Neuseeländer. Einer nach dem, einer im Stimmbruch. Mit Kerzen ist hier tatsächlich nichts. Zu gefährlich im Sommer. Stattdessen werden Höhlen- und Taschenlampen mit bunten Papieren, Glitzerfolien, Tesa und Uhu bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Wir sind die einzigen, die Stirnlampen-Laternen bauen. Stirnlaternen quasi.
Am Abend erklimmen wir dann mit hunderten Anderen den Hausberg. Entlang des Wegs sind überall im Gebüsch märchenhafte Installationen, glitzernde Feen, sprechende Bäume, klampfende Kerle, trommelnde Hippies. Fabian und ich sind begeistert von den kreativen Ideen, von der Hingabe, die die Anwohner in diese Aktion stecken. Finia umklammert derweil ihre Leuchte und schwankt zwischen Strahlen und Tränen, Tendenz hin zu letzterem. Als dann hokuspokus ein Robin Hood in Lederhosen samt Gefolgschaft aus dem Gebüsch springt und sie fragt: „What is thy name, Milady?“, beschließt sie, für den Rest des Abends nichts mehr zu sagen.
Erst abends im Tipi, die liebgewonnene Partymeute meutet zu Lady Gaga ums Zelt, findet Finia ihre Stimme wieder.
„Wieviel mal noch schlafen bis das Christkind kommt?“ fragt sie.
„Sechs mal“, antworten wir. Sie betrachtet ihre Stirnlampe, üppig eingeklebt von roten Streifen, schaltet sie noch einmal ein und aus. Fest muss sie drücken, damit der Druck durch den ganzen Tesa hindurch den Knopf erreicht. Dann schläft sie ein. Fast. Vorher nur noch eine Sache: „Dieser Robin da, kommt der auch an Weihnachten?“