Wir sitzen auf einem piekfeinen Bänkchen an einem kleinen Bach in Blenheim. Landschaftsgärtner müssen sich schwer ins Zeug gelegt haben, der Rasen um den Wasserlauf sieht aus wie mit einer Nagelscheere gestutzt, die flachen Steine um das Flussbett liegen wie handverlegt. Am anderen Ufer fährt ein kleiner Vergnügungszug hin und her, während wir weiche Avocado auf unser Baguette schmieren und Zitrone darauf träufeln. Laut hupt der Zug und lässt irgendwo am Dach ein bisschen Spiel-Dampf ab. Aus den offenen Fenstern quillen bunte Kinderrucksäcke; schrille Kinderstimmen und schepperndes Gekicher mischen sich unter das Hupen. Ein Kindergartenausflug, vermuten wir. Zu Hause würde Finia auch in den Kindergarten gehen.
Schweigend schauen wir dem Zug hinterher. Wir sind erschöpft. Seit bald zwei Monaten sind wir eine, manchmal zwei, höchstens drei Nächte an ein und demselben Ort. Finia möchte Weihnachtsplätzchen backen. Fabian hat nichts gegen irgendwo mal sein und in Ruhe angeln und ich fände Wäsche waschen mal gut. Außerdem quält Finia seit Tagen eine hartnäckige Augenentzündung, die wir mit unseren Mittelchen nicht in den Griff bekommen.
Wir haben die längste Etappe unserer Reise hinter uns: von Dunedin ganz im Süden sind wir bis an die Nordspitze der Südinsel durchgefahren. Es ist uns wurscht, dass uns dadurch fast die gesamte Ostküste entgangen ist. Wir wollen nur ankommen – in Nelson, der statistisch sonnigsten Stadt Neuseelands. Unterwegs haben wir bei Regen an den Moeraki Boulders gehalten – riesigen runden Steinformationen, die wie Perlen durch Ablagerungen entstanden sind und nun wie vergessene Leder-Bälle aus Nachkriegstagen am Strand herum liegen.
„Denk mal, Finia, die wurden über viele Millionen Jahre hinweg geformt!“, sagten wir, als wir auf den riesigen Dingern umherliefen.
„Was ist Millionen?“
„Das ist so viel, dass einem ganz schwindelig wird, so viel.“
„Mir ist nicht schwindelig“, sagte sie und hüpfte auf den nächsten Koloss. In zwei Hälften gebrochen, offenbarte er sein raues, hohles Inneres. „Und wie lange hat die Kugel gebraucht, um sich wieder kaputt zu machen?“
Wer weiß. Vermutlich ging das Zerbrechen schneller, als das mühsame Aufbauen des harten Steinkerns. Wie bei fast allen Dingen wohl. Bei Legotürmen etwa, die mit einem einzigen Wutsch wieder einstürzen. Oder kunstvollen Hochzeitstorten. Oder Filmen, Büchern, in denen jahrelange Arbeit stecken – binnen einer Stunde am Schreibtisch vom Kritiker zerrissen. Man denke an ein Haus, mühevoll erbaut, in einer Nacht abgefackelt. Ein Leben, jahrelanges Leben, Einatmen, Ausatmen – und dann eine sekundenschnelle, falsche Bewegung mit dem Lenkrad. Ausnahmen bilden wohl einzig Dinge wie Uhu-Flecken: Schnell gemacht – doch den harten Bollen weg zu kriegen ist eine andere Mission. Und dann die Liebe eines Kindes für seine Eltern. Es berührt und schmerzt, wie viel sie zu verzeihen bereit sind.
Als wir das Baguette verdrückt haben, eine Handvoll Datteln hinterher, sammeln wir noch ein bisschen Wasserkresse, bevor wir weiterfahren. Es ist nicht mehr weit bis Nelson. Wenige Stunden noch. Ich sitze auf der ranzigen Rückbank neben Finia in ihrem Bären-Sitz und streiche über ihren dunkelbraunen Handrücken. Schwarze Erde klemmt unter ihren zu langen Fingernägeln.
„Da ist ja soviel Dreck drin, dass wir da was reinpflanzen könnten!“, sage ich.
„Au ja“, sagt sie und schon plant sie ihren neuen Schrebergarten. „Hier würde ich Kirschen reinpflanzen.“ Sie zeigt auf den Daumen. „Hier kämen Bananen rein, in den hier Kartoffeln und da Wasserkresse.“
„Aha“, sage ich. „Und was sollen wir in den Kleinen hier pflanzen?“
„Maultaschen“, sagt sie und faltet würdevoll ihr Beet im Schoß.