„Was die Wahrnehmung zeigt, das glaubt das Herz.“
Seneca d.J.
Epistulae morales ad Lucilium 117, 12
Vor einiger Zeit, viele, sehr viele Jahre nach meiner eigenen Kindergartenzeit, besuchte ich mit Finia meinen alten Kindergarten. Eingebettet in einen Bauernhof, angeschmiegt an weite Wiesen, liegt er umgeben von Obstbäumen; dahinter der Wald.
Da stand ich also, die warme Kinderpfote fest in meiner Hand; bunte, tanzende Erinnerungen im Kopf. Ich betrachtete den Garten – ein kleines Paradies, so klein, dass ich mich fragte, wie es in meiner Erinnerung so groß, so weit, so endlos weit sein konnte! Mein Blick wanderte zu dem morschen Gartenzaun aus breiten, unregelmäßig geschwungenen Holzleisten. An diesem Tag sah ich zum ersten Mal, was dahinter ist: Wiese, endlose Weite, darauf verknorpelte Apfelbäume, so verknorpelt, dass sie auch damals so dagestanden haben müssen. Höchstens weniger verknorpelt.
Ich verstand plötzlich, wie begrenzt die kindliche Wahrnehmung ist. Bis zum Zaun. Weiter nicht. Und dafür: wie fokussiert und genau sie ist, das Nahe, Unmittelbare begierig inhalierend. Auch wenn mir die Welt jenseits des Zaunes fremd gewesen war – die kleine Welt innerhalb des gesteckten Rahmens war mir selbst als Erwachsene so vertraut, als hätte ich noch immer Schuhgröße 27: Die Seile der langen Schaukel, die rauh und fasrig in der Hand lagen, die gemütliche Mulde an der Sandkastenumrandung, die Kies-Ecke nahe der Hauswand, an der man die schönsten Schneckenhäuser fand. Erinnerungen so klar wie Kristall. Noch heute.
Unbedingt musste Finia eine eigene Kamera für die Reise haben. Wasser-, stoß- und staubfest. Was würde sie wahrnehmen? Wie weit würde ihr Blick gehen? Wie nah? Und: würde sie Dinge einfangen, die uns entgingen?
Hier einige Einblicke in ihre Welt, von der Fotografin höchstpersönlich kommentiert.